Eine Nation ist entsetzt.
Das zumindest meint man seit Freitag, seitdem die Medien sich auf den
IQB Bericht stürzen, um über das schlechte Abschneiden unserer Viertklässler in den Grundschulen zu berichten.
Meinungsmachende Menschen jeder Profession äußern sich nun überrascht und erstaunt über diese Ergebnisse.
Und - in NRW zumindest - wird unmittelbar und auf die Schnelle
damit reagiert, dass man auf die mediale Rampensau aufspringt und verkündet, "der Rechtschreibunterricht an den Grundschulen solle verbindlicher werden. Die umstrittene Methode
"Lesen durch Schreiben" werde begrenzt."
Immerhin könnte man sich nun darüber freuen, dass Frau Gebauer nicht die medial dauerfalsche Bezeichnung "Schreiben nach Gehör" benutzt.
Dass seit vielen Jahren zu kurz gedacht wird, das lese ich nirgendwo.
Sprechen kann ich immer nur über NRW. Hier zumindest wurde das Einschulungsalter der Kinder sukzessive herabgesetzt. Die Lehrpläne jedoch sind seit 2008 dieselben geblieben. Ein Agieren also gegen jegliche entwicklungspsychologischen Erkenntnisse.
Die Abschaffung der Vorschulklassen und der Möglichkeit, Kinder zurückzustellen (auch ohne erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen) waren und sind eine weitere Ursache dafür, dass hier im Lande bildungspolitisch nicht alles optimal läuft.
Wir überfrachten die Grundschulen mit Aufgaben und Arbeitsbereichen, die Elternhäuser heute - wenn überhaupt - nur bedingt abdecken können.
Schule ist längst zu einem Servicebetrieb verkommen, dem versagt bleibt, sich auf die Kernaufgaben zu besinnen.
Der Aufschrei der Empörung und des Entsetzens ist ein künstlicher, denn längst schon weisen Schulleitungen immer und immer wieder auf Missstände und Fehlpolitik hin.
Und das, um wohlgemerkt die Konsequenzen im Form von verbaler Schelte zu spüren.
Wenn man kritisiert, hat man in der Regel "das System nicht verstanden" oder hat ein "falsches Verständnis von unserem Schulsystem".
Unzureichend universitär ausgebildete Lehramtsstudenten gehen in das - verkürzte - Referendariat, um dort dann mit Realitäten konfrontiert zu werden, die im besten Fall nur frustrieren und nicht zur sofortigen Aufgabe und zum Scheitern verurteilen.
Bildungspolitische Entscheidungen und Rückentscheidungen - man denke nur an die unsägliche Kopfnotendiskussion - führen zu intensiver und am Ende nutzloser Arbeit, die wir besser in Unterrichtsentwicklung hätten inverstieren können.
Wir reformieren alles und das beständig. Ein zur Ruhe kommen, ein einfaches Arbeiten ein Fokussieren auf Wesentliches ist in den letzten Jahren nur sehr bedingt möglich gewesen.
Wenn man das einfordert, wenn man sich gegen eine reine Papierschule stemmt, wenn man das Wort ergreift, wenn man nicht mainstream handelt, dann wird Funktionskompetenz infrage gestellt und man wird rüde angewiesen, den Erwartungen zu entsprechen.
Nun schreien wir also gekünstelt auf.
Jüngere Kinder, größere Klassen, nicht modifizierte Lehrpläne, personelle Unterversorgung, Inklusion, Integration, ein Projekteüberfluss und ein Reformirrsinn sind unsere Schulrealität.
Und darin erleben wir wunderbare Kinder, die wir nicht auf eine reine Rechtschreibleistung reduziert wissen möchten.
Ja, Rechtschreibung ist wichtig, aber das sind andere Kompetenzen auch.
Wer schreibt darüber, dass die Kinder viel selbstständiger sind als noch vor einigen Jahren? Dass sie reflektierter sind und teamfähiger? Dass sie das Lernen lernen, vielfältige Lernwege kennenlernen und es ihnen gelingt, trotz teilweise sehr suboptimaler häuslicher Bedingungen überhaupt zu lernen?
Schaut überhaupt jemand mal IN die Systeme? Geht jemand in den Unterricht, in die Klassen und beobachtet?
Erfasst jemand die Hintergründe, die Zusammenhänge und die Strukturen?
Es ist nicht damit getan,
"Lesen durch Schreiben" zu begrenzen. Mir graust es bei dieser Feststellung. Wo bitte lehrt denn jemand so, wie die pauschale Medienschelte es beschreibt?
Das Rechtschreibproblem hat gänzlich andere Ursachen, aber es ist natürlich viel simpler, die breite Masse mit Schlagworten abzuspeisen und im Glauben zu lassen, damit würde alles gut.
Nichts wird gut.
Gut kann es nur dann werden, wenn Lehrpläne geprüft und modifiziert werden, die Lehrerausbildung sich qualitativ verbessert und Grundschule sich endlich wieder auf das besinnen darf, was ihre Aufgabe ist: Einen fundierten Grundstein zu legen, um Kindern eigene, differenzierte Lernwege zu eröffnen.
Wenn Schulleitungen nicht länger zugeschüttet werden mit Statistiken und Statistiken der Statistiken. Mit unzähligen Tabellen, die am besten sofort und unmittelbar mit schnöden Zahlen ausgefüllt werden müssen. Wenn Schule wieder vom Papier in die Realität gelangen darf - das wäre ein erster guter Anfang.
Wenn man uns einfach unsere Arbeit machen ließe.
Denn die machen wir gut.
Wie sollen Kinder rechtschreiben, wenn schon das rechte Empfinden der Erwachsenen völlig im Wanken ist?....die Verhältnisse in unserer Gesellschaft sind nicht recht; Mittendrin die Angst besetzte Absicherungserziehung; sie gleicht mehr einer völlig verstiegenen Protokollstrecke, als vielfältig lebendiger Potentialentfaltung ; ...so werden ganzen Generationen die wichtigste Freude, die Freude am Lernen, zerstört...was das Desinteresse an der Gesellschaft zur Folge hat.....
vom 05.11.2017, 00.52