Heute habe ich - nach langer Zeit - wieder einmal das empfehlenswerte Buch
"Positive Pädagogik" von Olaf-Axel Burow herausgesucht und quergelesen. Mir gefällt - wie an anderer Stelle beschrieben - der wertschätzende Blick auf uns Menschen und insbesondere die Schülerinnen und Schüler. Der Ansatz
"sich auf den pädagogischen Auftrag zu besinnen und viele der Zumutungen von außen zurückzuweisen, um sich auf die eigentliche Bestimmung zu konzentrieren" ist das, was im Schulalltag häufig zu kurz kommt.
Wir fühlen uns gehetzt. Es scheint, so meinen wir, dass es an zahlreichen Ressourcen fehlt. Wir hätten gerne schönere und größere Räume, idealerweise lichtdurchflutet und mit einem kleinen Nebenraum versehen, in dem Kleingruppen selbstständig arbeiten können.
Wir wünschen uns mehr Material, besseres Material, differenzierteres Material, weil wir denken, die Kinder dann optimaler fördern zu können.
Und nicht zuletzt, so beklagen wir zu Recht immer und immer wieder, mangelt es an personellen Ressourcen und wir fühlen die Aufgabenlast wachsen und schwer auf unseren Schultern lasten.
Während man die Ressourcenklage an vielen Stellen durchaus nachvollziehen und verstehen kann und muss, das auch kommunizieren sollte und an die richtigen Stellen weiterleiten muss, unterliegen wir - das ist jedoch nur meine persönliche Meinung - in einer Ressourcenfrage einem großen Irrtum.
Es ist die Frage nach der Zeit.
Wir fühlen uns, ich schrieb es eingangs, gehetzt. Uns läuft die Zeit davon, so meinen wir und wir möchten in den vier Jahren Grundschulzeit immer höher, weiter und schneller hinaus mit unseren Kindern. In der irrigen Annahme, sie würden mehr lernen, sich mehr Wissen aneignen und die eigene Zukunft so besser meistern können.
Neben all den sicherlich mangelnden und fehlenden Ressourcen haben wir eines ganz sicher: ZEIT
Nur, wir nehmen sie uns nicht. Wir nehmen uns sie nicht oft und nicht radikal genug, weil wir meinen, in den Zwängen und Tücken eines Systems gefangen zu sein, das uns antreibt immer schneller immer mehr Wissen zu vermitteln statt Erfahrungen erleben zu lassen.
Damit schließe ich mich an meine Ausführungen von
Samstag an bzw. führe sie lediglich fort.
Ausschlaggebend war ein kurzes Gespräch heute in der Schule mit drei Kolleginnen, in dem wir überlegten, warum es in einer Klasse zu ungewöhnlichen vielen Streitigkeiten kommt.
Meiner Ansicht nach liegt das daran, dass diese Kinder in den ersten zwei Schuljahren mehr Zeit gebraucht hätten. Mehr Zeit, um sich kennenzulernen, miteinander ins Gespräch zu kommen, die Gefühle des anderen wahrnehmen zu lernen. Mehr Zeit, sich an Schule zu gewöhnen, neue Regeln zu entwickeln und Streitigkeiten gemeinsam zu klären. Mehr Zeit zum Spielen und Toben und Ausprobieren und Erfahrungen sammeln.
Insbesondere in der Schuleingangsphase braucht es an vielen Stellen viel Zeit - viel mehr Zeit als uns lieb ist, weil wir mit unseren Ideen, Planungen und schlauen Lehrerhandbüchern auf der Strecke bleiben. Der Alltag passt sich nicht unseren Zeitvorstellungen an. Wir fühlen uns gehetzt, weil wir uns nicht von den Kindern und deren Bedürfnissen leiten lassen, sondern lieber Handreichungen fremder Menschen vertrauen, die unsere Lerngruppe nicht kennen und gar nicht einzuschätzen vermögen, was gerade eben bei uns geschieht.
Wären wir so flexibel und würden wir uns von den Kindern mit in die Zeit nehmen lassen, gäbe es diesen Druck auch nicht - oder nicht in dem Maße.
Ich las heute erstmalig im Handbuch des
"ABC der Tiere". Das war eine durchaus sehr schmunzelswerte Lektüre und ich behaupte jetzt, lange vor der Einschulung meiner neuen Klasse, dass ich niemals in der Lage sein werde, den angegebenen Zeitplan einzuhalten.
Es bliebe keine Zeit für Gespräche und Flitzepausen. Für Experimente und Abenteuer, für Lernfreude und Klassenrat....
Diese Liste ließe sich beliebig lang fortsetzen.
Ich möchte kein Knecht einer Handreichung sein und werden.
Jedes Kind braucht seine Zeit. Wir brauchen unsere Zeit. Niemand wird in den Klassenraum stürzen und mich geifernd fragen, warum die Kinder nicht schon dieses oder jenes gelernt hätten.
Gut, sieht man davon ab, dass ohnehin "
bei den anderen alles besser ist".
Zeit ist ausreichend da, wir müssen nur wagen, sie uns zu nehmen.
Denn nicht nur die Kinder, auch wir brauchen Zeit.
Zeit, uns zu entwickeln.
Zeit, uns zu hinterfragen.
Zeit, uns weiterzuqualifizieren.
Zeit, für vielfältige Interessen.
Zeit, für Freunde.
Zeit, zu leben.
Ich habe einen Vorsatz für das neue Schuljahr:
Ich möchte mir all diese Zeit hemmungslos und ohne Schuldgefühle nehmen.
Und ich möchte das Team unserer Schule mitnehmen und nicht nur Mut machen zur Gelassenheit, sondern Mut, sich der Zeit zu stellen und sich nicht hetzen zu lassen.
Von niemanden.
Schon gar nicht von beschriebenen Papier!
Liebe Susanne,
vielen Dank für deinen Blogeintrag. Als Mutter eines Viertklässlers habe ich viel Shitstorm der Mitmütter miterleben müssen und mich auch stellenweise mit reinreißen lassen, obwohl ich das nie wollte. Dies und das wurde nicht genug in den ersten Jahren behandelt, etc. pp. Da ist die Sorge immer groß. Aber schlussendlich kann Sohn alles, was er können muss. Selbst bin ich Grundschullehrerin, aber seit vielen, vielen Jahren in der Förderschule tätig und hier bin ich auch sehr dankbar, dass ich eben Zeit habe .. in jeder Unterrichtsstunde. Was in deinem Buch steht, erlebe ich in der Förderschule und es hindert mich jedes Jahr wieder daran, in den Grundschuldienst einzusteigen. Ich genieße die Zeit, die ich für das Wesentliche verwenden kann und wünsche allen Grundschulkolleginnen, dass sie die Zeit wieder für sich und die Kinder entdecken können. Klar haben meine Schüler nicht jedes Thema behandelt, aber sie haben vertiefte Kenntnisse in den Bereichen, die wir behandelt haben, die sie auch nach langer Zeit wieder abrufen können. Es ist nicht wesentlich wie weit die Anderen sind.
Dir und allen Mitlesern wünsche ich Gelassenheit und viele ertragreiche, ruhige Momente mit den Kindern.
Liebe Grüße!
vom 02.06.2016, 19.16
Oh, das Mütterproblem kenne ich auch. In der Grundschulzeit meiner Töchter habe ich mir die ganze Elternschaft zum Feind gemacht, weil ich nicht jedes Arbeitsblatt kontrolliert und durchdiskutiert habe. Auf den weiterführenden Schulen nahm das erst ab Klasse 10 ab. Ich habe mich irgendwann gänzlich distanziert, weil mich die anderen Mütter zu sehr aufgeregt haben.
;-)
Das, was Du über die Förderschule schreibst, klingt interessant und vor allem klingt es nach Ruhe und Zeit.
Danke für Deinen ausführlichen Kommentar!