Der Wasserfarbkasten ist für alle neuen Schulkinder seit jeher faszinierend und diese Faszination nutze ich gerne in den allerersten Schultagen - so entstanden unsere Sonnenblumenbilder.
Niemand musste, aber jeder durfte. Ich hatte mir eine Reihe alternativer Arbeiten überlegt und der Klassenraum bietet zahlreiche Arbeitsmöglichkeiten außerhalb dieser Kunstarbeit.
Mir war bewusst, dass nicht jedes Kind diese Aufgabe würde bewältigen können.
So dachte ich.
Jedoch lediglich mit meinem engstirnigen Lehrerauge betrachtet.
ALLE Kinder wollten nun aber genau so eine Sonnenblume malen, schneiden, basteln und die Ergebnisse schmücken seitdem unsere Klasse.
So unterschiedlich wie die Kinder sind, sind deren Bilder und beim Betrachten sieht man Ergebnisse, die einen erfreuen, einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern oder einen erstaunen.
Natürlich fällt das ein oder andere Bild ganz besonders ins Auge.
Sei es, weil es als besonders gelungen angesehen wird oder man verwundert die Blume auf dem Bild sucht.
Aber viel wichtiger als das, was wir sehen, ist doch das, was wir nicht sehen können. Wie jedes einzelne Kind zu seinem Ergebnis kam.
Vielleicht betrachtet man das eine ganz besondere Bild mit ganz anderen Augen, wenn man weiß, dass der kleine Künstler rein körperlich nicht in der Lage ist auszuschneiden?
Dass er über mehrere Stunden höchstkonzentriert damit beschäftigt war, die Schere zu halten, auszuschneiden und zu malen, aufzukleben und zu gestalten.
In ausufernder Geduld saß dieses eine Kind an seinem Platz und ließ sich durch nichts und niemanden davon abbringen, seine eigene Sonnenblume zu erschaffen.
Während ich zuvor nach Alternativen für dieses Kind gesucht hatte, um einen Misserfolg zu vermeiden, es ihm leicht zu machen obwohl das Kind es gar nicht leicht gemacht haben wollte.
Der Misserfolg liegt offensichtlich nur in einer Sichtweise. In meiner Sichtweise, die ich revidieren musste, als ich das Kind beobachte, das während des Ausschneidens beständig intonierte:
"Ich glaub ich mach das sehr super. Ich kann das super. Ich mach das toll. Frau Schäfer, ich mach das doch toll, oder?"
Und wie toll.
Ich fühlte mich beschämt.
Der Gedanke, diesem Kind einen Misserfolg ersparen zu wollen, implizierte, es würde keinen Erfolg haben.
Nur, weil das Bild rein äußerlich von anderen Bildern abweicht - so musste ich erkennen - hatte das Kind keinen Misserfolg, sondern ein Erfolgserlebnis.
Durch Beharrlichkeit, Geduld, Ehrgeiz und Ausdauer hatte es - entgegen seiner Beeinträchtigungen - eine eigene Blume erschaffen.
Wie oft habe ich Kindern schon die Möglichkeit eines Erfolges genommen, weil ich mit meinen Lehreraugen betrachtete und vorbereitete?
Im Kreis besprechen wir unsere Bilder. Keines wird belächelt, ausgelacht oder gar verhöhnt. Jedes Bild wird ernstgenommen, angenommen, wahrgenommen und akzeptiert.
Ich erinnere mich an eine Situation in unserem Feriencamp. Ein Kind mit einer Körperbehinderung lief vor einem anderen Kind her. Das andere Kind rief:
"Warum läufst du so komisch?""Ich kann nicht anders!", lautete die lapidare Antwort des beeinträchtigten Kindes und somit war die Sache geklärt.
Kinder brauchen keine Inklusion. Kinder leben sie.
Wir sollten es ihnen nachmachen!
Musste schlucken und mir fällt gerade nur ein von Herzen kommendes "Danke" ein.
Für deine Zeilen.
Für deine Reflexion.
Für das Wachrütteln, was uns im (Lehrer-)Alltag immer wieder gut tut!
Habe einen guten Sonntag, Vanessa
vom 18.09.2016, 12.14
Ich wünsche Dir auch einen wunderbaren Sonntag und danke Dir für Deinen lieben Kommentar!