Während ich hinterrücks an meiner Bluse zaghafte bis festere Zupfversuche spüre, bilden sich auf meinen Oberschenkeln zeitgleich kleine Nutellahandabdrücke und ich stelle kurzzeitig die wagemutige Idee infrage, am zweiten Schultag eine weiße Jeans angezogen zu haben.
"Frau Schäfer", tönt es von nahezu allen Seiten und ich werde bezupft, betätschelt und gestreichelt.
"Frau Schäfer, guck mal, ich habe eine blaue Mappe!", "Auf meinem Etui sind Polizisten!",
"Ich muss Pipi!",
"Wann gehen wir nach Hause?"Aufgeregt hüpfen, tummeln, gehen und springen die Kinder durcheinander und jeder hat etwas zu fragen, zu berichten und zu zeigen.
Einige Tränen fließen, ein paar Kusshände müssen durch die Fensterscheibe zu den wartenden Mamas geworfen werden, ehe wir uns im Kreis treffen und zwanzig Augenpaare gespannt und neugierig auf mich gerichtet sind.
Gänzlich unvoreingenommen sitzen sie hier, starten unbeschwert und wissbegierig in den neuen Lebensabschnitt und ich bin mir mit einem Male der völligen Verantwortung bewusst, den Grundstein für einen guten Start in das schulische Leben dieser Kinder legen zu dürfen.
Es geht trubelig zu, die neuen Schulkinder rutschen unruhig auf den Bänken hin und her, der ein oder andere fällt unerwartet rücklings von der Bank und wir lernen sehr schnell, dass Bänke keine Lehne haben und Zappeleien gerne mal am Boden enden.
Die Atmosphäre ist geprägt von ganz viel Neugierde und Spannung und den Erwartungen all dieser kleinen Menschen gerecht zu werden ist gar nicht so einfach.
Wir lernen ein Begrüßungslied und zum ersten Mal begegnet uns die morgendliche Routine des offenen Schulbeginn. Im Klassenraum gibt es sehr viel zu entdecken, die Kinder lernen sich gegenseitig und wir uns kennen und nach dem Morgenkreis sind die ersten müde und erschöpft und brauchen eine Pause.
Wir gehen das Wagnis ein, am zweiten Schultag sämtliche Materialien gemeinsam wegzupacken. Der damit losgelöste Tumult lässt sich kaum mit Worten beschreiben.
"Wohin muss das?", ist die meistgestellte Frage, gefolgt von:
"Kann ich zum Klo?"Viele kleine Hände zuppeln an mir herum, jeder möchte ganz dringend meine Aufmerksamkeit und irgendwie fällt immer wieder mal etwas vom Tisch, aus der Tasche oder einfach nur um.
Der Zauber eines ersten Schultags lässt sich nicht beschreiben, nicht die leuchtenden Augen, nicht das überwältigende, kurzzeitige Chaos, nicht die Liebenswürdigkeit all dieser mir anvertrauten Kinder.
Wie eine Urgewalt stürmen all die Minimenschen über mich hinein und erobern mein Herz im Nu.
Wir packen ein, wir packen zusammen, wir bestaunen, wir probieren aus, wir sammeln Mappen, Hefter und Wasserfarbkästen.
Wir lernen Schubladen und Ablageorte kennen, finden unsere Namensschilder, erkunden die Schule, singen und tanzen und beschließen letztendlich, morgen wohl wiederzukommen.
Meine Hände, Augen und Ohren reichen nicht aus, um all diesen Kindern am ersten "richtigen" Schultag gerecht werden zu können, aber ich gebe mein Bestes, um allen zu vermitteln, dass sie willkommen sind und ich mich freue, dass sie in unsere Klasse gehen.
Nach vier Unterrichtsstunden verabschieden wir uns erschöpft aber meinerseits ziemlich glücklich und mit dem überwältigenden Gefühl wieder einmal angekommen zu sein und an der richtigen Stelle zu stehen.
Lachend winken die Kinder und mich umschwirren ihre Worte:
"Ich komm morgen wieder!", "Ich gehe jetzt zu Mama!", "Ich hab Hunger!",
"Muss ich OGS?", "
Bist du morgen wieder hier?""Ja!", bestätige ich die letzte Frage
"morgen und an allen weiteren Tagen! Und ich freu mich darauf!"
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vom 16.11.2024, 07.37