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Einträge vom: 27.08.2017

Lehrer gegen Lehrer

Die wenig nachhaltigen bildungspolitischen Veränderungen in unserem Lande, die mangelhaft bis unzureichend
vorausgeplante Inklusion sowie die unterschiedliche Bezahlung einzelner Lehrämter führt vermehrt zu
Missgunst, Neid, Wut, Empörung und Unverständnis innerhalb der Lehrerschaft.
Das ist zumindest das, was ich in diversen Foren, Facebookgruppen und Newsgroup seit längerer Zeit beobachten kann.

Nun mag das sicherlich nicht repräsentativ sein, was ich lese und dadurch beobachte, aber es bereitet mir Sorgen, denn die Emotionalität verhindert eine sachliche Diskussion, trägt nicht zur eigenen Zufriedenheit bei und führt zu wenig konstruktiven Lösungsansätzen.

Als Beispiel versuche ich anhand des Themas Inklusion zu beleuchten, was mir aufgefallen ist und nach wie vor vermehrt auffällt.





Es scheint, als durchliefen wir Lehrer unterschiedliche Phasen, was den Umgang mit der Inklusion angeht.
Ich möchte die erste Phase einfach mal plakativ "das Tal des Jammerns" nennen.
Eine Phase, die ich ebenso durchlaufen habe wie die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen.

Empörung darüber, was wir als Grundschullehrer noch alles leisten sollen.
Angst davor, keinem Kind mehr gerecht werden zu können.
Unverständnis darüber, dass wir mit einem Mal die Arbeit der gut ausgebildeten Sonderpädagogen mitübernehmen sollen.
Wut darüber, dass die Politik sich derart an Kindern mit ausgewiesenen Förderschwerpunkten vergeht.

Eine sehr emotionale Phase, die zunächst wenig Spielraum für Reflexionen und das Überdenken von alternativen Möglichkeiten zulässt.

Es folgt häufig die Phase des "blinden Aktionismus".
Gehetzt und verfolgt von dem Gedanken "ich muss aber" arbeiten wir hektisch daran, allen Kindern gerecht zu werden, schreiben bis tief in die Nacht Förderpläne, erstellen Unterrichtsmaterialien, lesen uns hier ein und dort ein und sehen doch kein Land.
Wir telefonieren hinter Hinz und Kunz hinterher, durchblättern unzählige Handbücher und Ratgeber und fühlen uns verloren und allein gelassen.
Wir arbeiten uns aus dem Leben, sind frustriert und müde und erkennen,  dass wir nicht leisten können, was uns - so scheint es - auferlegt wird.
Dies führt unweigerlich zum Rückfall in "das Tal des Jammerns" und zwar immer wieder und sehr regelmäßig.
Natürlich ist das so, denn ich werde auf dieser Art und Weise weder den Kindern, noch mir selbst gerecht.
Ich bin zum Scheitern verurteilt.

Dies zu erkennen ist mitunter schwierig, denn die meisten Kolleginnen und Kollegen arbeiten mit sehr viel Herzblut und enormen Engagement. Sie fühlen sich schlecht, wenn sie hinter ihren eigenen Erwartungen und denen anderer zurückbleiben.
Das ist der Zeitpunkt, an dem Schulleitung unbedingt einschreiten muss und "die Reißleine ziehen muss".

Den blinden Aktionismus zu stoppen ist meines Erachtens nach die wichtigste Phase. Einigen gelingt das allein, andere benötigen den Rückhalt der Schulleitung. Verdient haben alle diesen Rückhalt.

Denn:

Ich bin Grundschullehrerin.
Ich habe keine Ausbildung als Sonderpädagogin.
Ich kann die Arbeit eines ausgebildeten Sonderpädagogen nicht leisten.
Ich muss all das, was ich mir selbst auferlege nicht leisten.
Ich muss für mich akzeptieren, dass ich lediglich innerhalb bestimmter - meist nicht beeinflussbarer - Rahmenbedingungen agieren kann.
So gut es mir durch meine Ausbildung möglich ist.
Ich muss meine Wut ablegen, weil sie mich hindert nach anderen Wegen und Möglichkeiten Ausschau zu halten.
Ich muss meine eigenen Grenzen erkennen und akzeptieren.

Schulleitung hat die weitere Aufgabe an entsprechenden Stellen zu kommunizieren, was möglich ist und was eben nicht.
Das ist den Kolleginnen und Kollegen nicht in derselben Weise möglich wie uns als Schulleitung, also müssen wir Schulleiter aufstehen, unbequem werden und Rückgrat zeigen.
Wir müssen transparent machen, welch ein Vergehen an den Kindern stattfindet und unser Team schützen und stärken.

Erst im weiteren Schritt ist es möglich, in die Phase des "Umdenkens und  Handelns" einzutreten.

Als Team kann man nun, wenn man die emotionalen Phasen durchlaufen hat, gemeinsam schauen, welche kleinen bis großen Veränderungen sind uns möglich, die helfen, Kindern gerechter zu werden.
Was kann am Unterricht geändert werden, am Zeitmanagement, an der Notengebung?
Wie gehen wir mit Lehrwerken um, mit Vergleichsarbeiten mit Zeitfressern wie diversen zu schreibenden Plänen, die niemandem nutzen?

Wir können anfangen im Kleinen, im eigenen System Dinge zu verändern, die den Kindern und uns entgegenkommen.
Wir haben nun die Möglichkeit, offen und unemotional über den Tellerrand zu schauen und nach neuen Wegen für uns und unsere Schule zu suchen.

Natürlich ist uns dabei stets bewusst, dass wir nie ein Optimum erreichen werden.
Doch statt weiterhin an den falschen Stellen darüber zu wüten, richten wir Appelle an die richtigen Stellen und entwickeln unsere Schule dennoch weiter.

Ganz viele Schulen sind mittlerweile an diesem Punkt angekommen. Natürlich gibt es Rückfälle in "das Tal des Jammerns", aber zu wissen, dass Wut blockiert hilft, sie abzustreifen.

Nun geschieht - und das verblüfft mich immer wieder - folgendes im Netz.
Kolleginnen und Kollegen beschreiben ihren Weg oder den Weg ihrer Schule mit Inklusion umzugehen und werden von anderen Kollegen - die sich nach wie vor in der ersten von mir beschriebenen Phase befinden - angegriffen.
Man wirft den Schulen und Kollegen "das Schönreden der Inklusion vor", man fragt wiederholt nach, "ob denn das Beste für jedes Kind machbar ist?" und man prangert nach wie vor an, was man an anderer Stelle anbringen muss: Das Problem der fehlenden Ressourcen.
Dabei wird unterstellt, dass Teams, die sich auf den Weg machen und die ersten beschriebenen Phasen erfolgreich hinter sich lassen konnten, unkritisch mit dem Iststand der Inklusion umgehen.
Das empfinde ich als zu kurzsichtig.
Nur, weil man sich konzeptionell neu orientiert, um für sich und das eigene kleine System neue Möglichkeiten zu schaffen, heißt das nicht, dass man unkritisch alles hinnimmt, was die Politik einem vorsetzt.
Dieser Vorwurf ist in vielen Fällen unberechtigt und haltlos.

Es ist die Wut, in die man nach wie vor verfangen ist, die einem Reflexion und Wege verschließt und die letztlich manchmal an ganz falscher Stelle landet.

Das ist bedauerlich. Sich auf neue Wege zu begeben bedeutet nicht, ganz klar zu kommunizieren, dass Inklusion so, wie sie hier derzeit gelebt wird, immer auf Kosten von Kindern und Kollegen geht.

ABER uns bleibt immer die Möglichkeit das Beste aus einer unschönen Situation herauszuholen.
Gemeinsam.
Im Team.
Nicht unkritisch, im Gegenteil.

Inklusion darf nicht dazu führen, dass Lehrer sich gegen Lehrer wenden.
Wenn wir anfangen, uns gegenseitig Dinge zu unterstellen, die nicht der Wahrheit entsprechen, untergraben wir unsere eigenen Möglichkeiten und werden nicht weiterkommen.

Wut ist nie ein guter Ratgeber!

Wir können nur etwas bewirken, wenn wir die Debatte versachlichen und uns auf das besinnen, was wir können.
Wir können nicht die Professionen anderer Lehrämter übernehmen.
Von meinem Zahnarzt erwarte ich nicht, dass er abends rasch ein Handbuch liest und mir am nächsten Morgen die Gallenblase entfernt.

Von mir erwarte ich auch nicht, dass ich mir die Kompetenzen einer Sonderpädagogin autodidaktisch aneigne.
Aber ich erwarte von mir, dass ich mit dem, was ich habe, das Bestmögliche für die eigene Schule, die Kinder und das Team bewirke und lerne, mich damit zufriedenzugeben, dass mehr als mein Bestes geben nicht geht.

Und politische Kämpfe führe ich an anderer Stelle.
Unbequem, kritisch und ausdauernd.

Wir haben mit all den engagierten Lehrerinnen und Lehrern um uns herum "Schwein gehabt" und das ist es, was mehr gewürdigt werden muss.
Von vielen Seiten!

Susanne Schäfer 27.08.2017, 08.46| (8/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Gedanken

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Katharina
So eine tolle Seite mit so vielen Inspirationen! Vielen herzlichen Dank dafür.
13.7.2020-9:54
Anne
Liebe Susanne, erst einmal ein großes Lob für die vielen liebevoll gestalteten Dinge. Ich möchte im neuen Schuljahr auch eine Eisbärenklasse starten. Gibt es schon Schilder für die Tafel mit den Unterrichtsstunden? LG
21.5.2017-17:17
Melanie
Liebe Susanne,
vielen Dank für deine tollen Texte, darin kann man sich wirklich stundenlang verlieren!
Am Schuljahresanfang hattest du Auf- und Einräumbilder deines Klassenraumes gepostet, mich würde mal interessieren, wie es jetzt so bei dir aussieht, nachdem darin schon eine ganze Weile gelebt wird.
Es grüßt dich ganz herzlich,
Melanie
14.5.2017-19:18
Pepe
Weil nicht sein darf, was nicht sein soll! Mutige, offene Worte. Vielen Dank dafür, Susanne. Genau so sieht es aus.
23.2.2017-16:37
Melli
Liebe Susanne, ich möchte gerne die Gelegenheit nutzen, um dir ganz ganz herzlich für die tolle Idee und natürlich deine süßen Materialien zum Märchentag zu danken. Wir begehen seither den "Märchenfreitag" (stundenplanbedingt) und meine Erstklässler lieben es! Gerade für meine sehr spracharmen Kinder ist es eine tolle Möglichkeit, den Wortschatz zu erweitern und sie zum Sprechen und Erzählen anzuregen. Und ähnlich wie du habe auch ich einen ungemeinen Spaß daran, jede Woche ein neues Märchen vorzubereiten und mal keine Buchstabeneinführung ö.ä. zu machen. Also lieben, lieben Dank!!!
18.2.2017-11:02
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